Horst Lothar Renner

innsbruck – eine reminiszenz

innsbruck – eine reminiszenz


ich liebe innsbruck
immer noch
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
die mauern links und rechts
kommst du von osten
öffnen den spalt ins blau
manchmal
und nur der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
wie eh und je
zieht auch die gruppe zinnsoldaten
durch die strassen
in früheren zeiten lächerlich
zur attraktion geworden
nun
ich liebe innsbruck
immer noch
wer stehen bleibt und schaut
erfährt geschichte
wer nachliest in den lauten büchern
der bleibt
wie er gewesen ist
bleibt in der festung eingesperrt
hält seine meinung hoch
wie viele hier
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
die alten sterben langsam weg
erlerntes bleibt
wird auch gelebt
von mann und frau
auch wenn die tracht
nur mehr im inneren
getragen wird
das kleinkarierte bürgertum
hat sich zur sonne durchgefressen
was früher stumpf
und dümmlich schien
stellt sich im fenster nun zur schau
viel breiter
höher
bunter
was vorher zu durchdenken war
reizt jetzt nur noch die sinne
und doch
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
die liebe bleibt
sie hat sich fest gefahren
die neuen freunde
gleichen nicht den alten
die alten freunde
waren gegenpol
nun trägt der untergrund
die oberfläche
ein aufbruch
ist nicht zu erwarten
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
ich liebe innsbruck
immer noch
ein flugzeug streift die kirchturmspitze
die runden berge grenzen ein
die spitzen berge grenzen aus
kultur ist wohlbehütet heute
und regen fruchtet nichts
die ausgebrachte saat liegt streng bewacht
in ihren beeten
ein neuer schrei ist nicht zu hören
das zeitgemässe grunzen
ist ein altes
fassaden spiegeln ihre pracht
und spiegeln wider
wo ist die hoffnung hingekommen
wo steht der widerstand
und wo
die kunst
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
wie eh und je
fliesst
unverbindliches in strömen
die alten lieder werden noch gesungen
der alte glaube hält noch wacht
gemälde
zum dekor verkommen
der nackte mann am kreuz
bleibt weggesperrt
ich liebe innsbruck
immer noch
und immer noch
verbindet sich hier sein und schein
und nur der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
wer in die berge flieht
flieht immer wieder
es sind versuche
ohne ziel
wer seine herren lobt
lobt immer wieder
das götzenbild
es prägt sich ein
es formt die menschen
trägt die menschen
dringt formvoll in die körper ein
im unverstand zeigt sich ein wandel
im rhythmus
und nach aussen hin
der standpunkt ist nur zeitbezogen
wer hellt die dunklen flächen auf
wer stellt infrage
wer dringt tiefer
wer will es wissen
wer hat zeit
wer kämpft
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
und spielt kulisse
der schönste berg der alpen
bringt sich ein
ein kleines dach
belegt die speicherplätze
vom filzhut kommt der kühle schatten
ich liebe innsbruck
immer noch
und auch den inn
wie eh und je
es war im garten
war in der stube
kroch in das dunkle holz
verschwand
es war der geist der wilden jahre
es war ein ausbruch
war beginn
und musste auch das ende bringen
das richtige
hat seine zeit
und auch das falsche
auch das falsche
abrupt geplatzt das alibi
das rundgewölbe zeigt es nicht
ein blick hindurch
durchs morsche tor
der eichentisch
der alten steg
die bar in rot
das rundgemälde zeigt es nicht
und nichts war einbezogen
da ist das innere
wer fühlt
da ist das äussere
wer sieht
und nichts ist ausgesagt
ich liebe innsbruck
immer noch
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
ich kommer her
und gehe fort
der inn fliesst durch die stadt
wie eh und je
wie eh und je
und nichts hat sich geändert

 

hlr 12/2005